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Die Schweiz: ein Abriss

Tobias Hilbert, Gründungsmitglied Countdown2030, gibt Auskunft zu Fragen um Abriss und Neubau, die sich der Bauwirtschaft stellen. Diese werden auch in der aktuellen Ausstellung im Schweizerischen Architekturmuseum thematisiert, aus der die Bilder im Artikel stammen.

Warum ist Abriss ein wichtiges Thema?

In der Schweiz werden pro Jahr etwa 3000 bis 4000 Gebäude abgerissen. Das entspricht ungefähr 500 Kilogramm Bauschutt pro Sekunde. Abbruch und Ersatzneubau verursachen jährlich circa 1,1 Millionen Tonnen an grauen Emissionen. Angesichts der Tatsache, dass das Schweizer Budget für das 1,5-Grad-Celsius-Klimaziel bereits aufgebraucht ist, ist jede Tonne CO2 eine zu viel. Heute gelangt der Grossteil der Bauabfälle auf eine Deponie oder in eine Kehrichtverwertungsanlage. Auch bezüglich Deponien verschärft sich die Situation – bestehende werden zu schnell gefüllt und neue sind nicht ausreichend in Aussicht.

 

Unter den Abrissobjekten gibt es oft Gebäude, deren Lebenszeit durch eine Umnutzung oder einen Umbau hätte verlängert werden können. Zudem ist zu bedenken, dass durch den Abriss eines Gebäudes baukulturelle Substanzen sowie bezahlbarer Wohnraum und soziale Netzwerke zerstört werden. Innovative Lösungen statt Abriss wären gefragt.

Warum wird in der Schweiz so viel abgerissen?

Die Gründe sind vielfältig. Viele Entscheide sind auf Vermietbarkeit, Renditeinteresse und Risikoabwägungen zurückzuführen. Der Druck auf den Boden ist extrem hoch. Deswegen reichen bereits geringe Ausnützungsreserven aus, damit Gebäude abgerissen werden. Ein anderer Grund ist, dass die Ansprüche an Wohnraum, Komfort und genutzte Quadratmeter pro Person stetig steigen. Solchen Ansprüchen können Neubauten eher genügen als Bestandsbauten. Und auch das Prestige von Bauherrschaft und Architekten spricht eher für den Neubau.

Der Neubau hat eine höhere Bausumme und damit auch ein höheres Honorar als die Sanierung von Bestandsbauten – und auch die Bauwirtschaft ist an möglichst viel Umsatz interessiert. Bei den Investoren sind die alten Gebäude oft abgeschrieben und damit wenig wert. Zusätzlich können die Mieten aufgrund des Mietendenschutzgesetzes nicht unbegrenzt erhöht werden. Bei Ersatzneubauten gibt es diese Einschränkung nicht. Der Abriss ist also oftmals die einfachste – und rentabelste – Option.

Ist das einfach der Lauf der Zeit oder sollten solch radikale Veränderungen verhindert werden?

Den Bestand einzufrieren ist keine Lösung. Wir sprechen uns aber gegen Kahlschläge aus, für das Umbauen sowie für die Weiterentwicklung der Orte. Wir müssen genau hinschauen, was schon da ist und wie es weitergenutzt werden kann. Das bedeutet, alte Gebäude durch Umbau und Transformation in die heutige Zeit zu bringen. Denn gegen den Abriss spricht auch, dass Bestandsgebäude zur Identifikation mit einem Ort beitragen. Und zu Orten, mit denen man sich identifiziert, trägt man mehr Sorge.

 

Ist die Schweizer Baubranche also nicht nachhaltig genug?

Es muss ein Umdenken stattfinden. Wir sind für ein Drittel der Schweizer Treibhausgase verantwortlich. Mittlerweile kann der Betrieb eines Hauses zu 100% erneuerbar gewährleistet werden, aber bei der Erstellung sind wir noch weit davon entfernt. Der einfachste Weg zur Schonung von Ressourcen wäre, den Bestand einfach weiter zu nutzen und zu ertüchtigen.

 

Welche Rolle spielen die Gesetze allgemein bei der ganzen Abriss-Thematik?

Ausser der Denkmalpflege gibt es derzeit kein Gesetz, das den Abriss eines Gebäudes verhindern könnte. Eigentlich bräuchte es so etwas wie einen Ressourcenschutz im Rahmen eines Umweltschutzgesetzes.

 

Wer ist am meisten in der Pflicht? Bauherrschaft, Architektinnen und Architekten oder die gesamte Branche?

Die gesamte Branche. Das startet bei der Auftraggeberschaft, geht über zu den Planungs- und Architekturbüros bis hin zu den Entscheidungstragenden in der Politik. Es wird immer deutlicher, dass man ein so grosses Problem nur gemeinschaftlich lösen kann.

 

Aus diesem Grund haben wir Countdown 2030 gegründet. «Wir» das ist eine stetig wachsende Zahl von Architekturschaffenden, die die Auswirkungen unseres beruflichen Handelns auf den Klimawandel einer grossen Zahl von Planerinnen und Architekten bewusst machen möchten.

 

Ausstellung «Die Schweiz: ein Abriss»

Im S AM Schweizerischen Architekturmuseum läuft noch bis zum 23. Oktober 2022 eine Ausstellung mit dem Titel «Die Schweiz: ein Abriss». Darin geht es genau um die Themen, die Tobias Hilbert im Blogbeitrag anspricht.

 

Ausstellung im S AM «Die Schweiz: ein Abriss»

Abriss Atlas der Schweiz

Countdown2030

 

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